Wer kennt ihn nicht, den Ratschlag: Geh durch die goldene Mitte, das ist viel einfacher!” Oder: “Schwimm mit dem Strom, es ist bequemer als gegen den Strom!”

Diese Sprüche hörte ich schon öfter und kann sagen, dass sie vom Prinzip her schon stimmen. Aber, ist denn der bequemste oder einfachste Weg immer der Bessere? So mancher würde gleich “Ja, natürlich” sagen, ich bin diesbezüglich aber anderer Meinung und werde euch gerne erklären, warum das so ist.

Beide Sprüche gehören zusammen und ergänzen sich bestens. Es entsteht vor meinem inneren Auge das Bild eines Flusses mit vielen Fischen welche fast alle in die gleiche Richtung schwimmen. Je eher sie in der Mitte mittreiben oder schwimmen, umso geschwinder kommen sie voran, je weiter sie zum Rand, also zum Ufer hin kommen umso mehr Gefahr droht. Sei es durch zu seichtes Wasser auf dem sie liegen bleiben, seien es Feinde am Ufer welche über sie herfallen. Sind die Fische erst mal ganz am Rand ist es sehr schwer, bald unmöglich zurück zur Mitte zu kommen, es droht ihnen das “Zurückbleiben”, den Anschluss verlieren und das aussichtslose Dahintümpeln bis das Leiden auf irgendeine Weise endlich beendet wird. Was diese Fische am Rand mit jenen welche in der MItte mit treiben oder schwimmen gemeinsam haben, ist, ihnen allen fehlt der Weitblick, keiner weiß wohin die Reise geht. Naja, hauptsache die Reise ins Unbekannte ist bequem und einfach, nicht?

Was wenn am Ende ein Wasserfall mit scharfkantigen Felsen auf die Masse der Fische wartet? Nun bequem und einfach in den, ab einem gewissen Zeitpunkt, unausweichlichen Tod.

Diese “Weisheiten” wurden auch mir öfters von einer nahestehenden Person ans Herz gelegt. Ich solle doch aufhören gegen den Strom zu schwimmen weil ich mir mein Leben selber unnötig schwer mache. Es bringt ja doch nichts, wenn ich mich auch noch so bemühe.

Was diese Person nicht erkannte, war meine tatsächliche Absicht und Handlung. Ich schwimme nicht gegen den Strom, das wäre wirklich zu anstrengend und am End würde mich der Strom, kraftlos wie ich dann wäre, mitreissen und irgendwo am Ufer hinspülen. Ich entschied mich vor einigen Jahren dazu, das mittlere Drittel allmählich zu verlassen und machte mich auf den Weg in richtung Rand bzw. Ufer. Mein Tempo verringerte ich nach und nach und begutachtete es. Mit der Zeit fand ich eine seichte Stelle, an welcher ich halt machte und mich an Land begab. Ich erkannte, dass ich nicht zwingend wie ein Fisch den Strömungen des Zeitgeistes ausgeliefert bin, sondern durchaus an Land mein Leben führen kann, selbstbestimmt und weitestgehend frei. 

Am Ufer stehend sah ich wohin der Fluss sich schlängelte und hörte wirklich in der Ferne das Rauschen des Wasserfalles. Auch sah ich viele Fische am Ufer verkümmern, sie waren zu schwach, ausgemergelt, hatten keine Kraft mehr. Täglich schwemmt es neue Fische an, es werden immer mehr, doch kaum einer davon erkennt sein Potenzial, seine Möglichkeiten. Lieber hängen sie im Wurzelgeflecht und im Sand am Ufer herum und jammern weil sie den Weg in die Mitte zurück nicht finden. Nunja, es mag herzlos erscheinen, aber es ist für mich nicht weiter von belang. Ich zeigte jenen die es sehen wollten, dass es auch anders geht, aber kaum jemand zeigt interesse dafür, die Mitte des Flusses ist zu verlockend, zu bequem. Jedem das Seine, nicht allen das Gleiche. Ein alter, wahrer Spruch.

Ich schaute mir das Ufer weiter an, seine Beschaffenheit, entdeckte da und dort Gebüsche, auch kleinere und größere Bäume, entdeckte Spuren von anderen Lebewesen und nahm erstmals den Himmel wahr, die große warme Sonne. Ich erkannte in ihr, nun als Landbewohner, keine Bedrohung mehr, fürchtete sie nicht mehr, ganz im Gegenteil. Ich erkannte ihre Schöpferkraft, sah wie sie Leben schenkte und noch immer schenkt. Ohne die Sonne gäbe es all das nicht. Wenn doch nur die Fische es erkennen würden, doch lieber fürchten sie sie, hassen sie zum Teil und ersinnen Pläne, um sie zu verdunkeln. Wie töricht kann man sein?

Ich hatte nun die Wahl, gehe ich einer Spur eines anderen Lebewesens nach oder suche ich meinen eigenen Weg? Ich konnte mit der Situation noch nicht ganz umgehen, zu neu und überwältigend waren die Eindrücke und so entschied ich mich, einer Spur zu folgen, welche ungefähr der entsprach, welche ich selber derzeit verursachte. Eine Weile folgte ich dieser, merkte dann aber, auch wenn sie meiner sehr ähnlich war, so war dies doch nicht mein Weg. So suchte ich meinen eigenen Weg, schlug mich durch Gebüsche, dornige Ranken, überquerte so manche Wiese, manchen Hügel. Entdeckte so vieles, was ich als einer von diesen vielen Fischen niemals geahnt hätte. Während des umhergehens an Land wuchs ich und fühlte mich von mal zu mal wohler und jeder Kratzer, jedes “Leid” das mir da widerfuhr lehrte mich, sodass ich es bis heute nicht bereute, diese Entscheidung, meinen eigenen Weg zu GEHEN, anstatt mit der Masse zu schwimmen, getroffen zu haben.

Manchmal geh ich in die Nähe dieses Flusses und betrachte das Schauspiel welches sich dort abspielt, einerseits mit Neugier, dann wieder mit Abscheu und Gleichgültigkeit und zuletzt oft mit so etwas wie Freude, wenn ich erkenne, dass es ab und zu wieder so mancher an Land schafft und trotzig seinen Weg sucht und nicht mehr der Verlockung erliegt. An Land sind bereits einige unterwegs, viele bleiben, einige kehren zurück da sie zu unsicher sind.

Über dieses Thema ließe sich jetzt noch viel schreiben und philosophieren, doch das soll ein jeder selber machen. Meine Absicht ist es, zum Nachdenken anzuregen, nicht alles als gegeben hinzunehmen. Zu Hinterfragen, von Angewohnheiten bis zu Glaubensmustern usw. 

Es gibt viele gute Fragen, welche beantwortet werden möchten, unter anderem:

Warum mache ich das? Warum glaube ich das? Warum dulde ich das? Wem nützt es?

Konrad Habitzl

Die goldene Mitte
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